Samstag

Ich bin in der Innenstadt.
Ich zwänge mich durch die - an manchen Stellen fast schon lückenlose - Menschenmasse und versuche, möglichst schnell zur Bahnhaltestelle zu gelangen. Neben mir sehe ich die ersten Stände des Weihnachtsmarkts und zahlreiche Modegeschäfte. Meine Augen bleiben an einer Wand hängen, wo sich ein alter, obdachloser Mann mit seinem Schäferhund sitzend aufhält. Unter ihm liegt eine dünne Decke mit vielen Brandlöchern und Flecken, neben ihm steht ein jämmerlicher Rest Wasser in einer Plastikflasche und eine kleine Schale, in der ein paar rote und ein paar goldene Münzen liegen. Er lächelt mich freundlich an. Ein Mann setzt sich auf einmal neben ihn und fängt vermutlich an, ihn Dinge über sein Leben zu fragen. Der Obdachlose erzählt und hustet keuchend zwischendrin, erzählt weiter. Ich bekomme einige Gesprächsfetzen mit. Der Mann fragt ihn, ob es ihm nicht kalt sei in diesen kommenden Wintertagen, was ich irgendwie frech finde, da dieser fein gekleidet neben ihm sitzt und sich eine Zigarette ansteckt. Er ist wohlhabend, das sehe ich ihm an. Bestimmt kein schlechter Mensch, dennoch finde ich es irgendwie unangebracht, dass er, mit seinem Luxus, den Bettler über sein klägliches Leben ausfragt. Der Obdachlose antwortet, dass es im Sommer wesentlich leichter sei und sein "Einkommen" auch höher wäre, da die Menschen sich logischerweise im Sommer öfters in der Innenstadt aufhalten als im Winter. 
Irgendwie bekomme ich ein schlechtes Gefühl im Magen, weil ich sehe, wie dieser Mensch sich durch das Leben kämpfen muss und irgendwann stirbt. Und in seiner letzten Minute des Lebens kann er sich nicht an ein glückliches, vollkommenes Leben zurückerinnern sondern nur daran, wie er jeden Tag auf der Straße saß und herablassende Blicke einstecken musste. Dafür hat er dann gelebt. Ich würde mir jeden einzelnen Tag die Frage stellen, warum bzw. für was ich überhaupt auf dieser Erde lebe. Womöglich hätte ich keine Antwort.

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